Race around Austria 2015

Alexandra Meixner gewinnt als erste Österreicherin das Race around Austria

 Es handelt sich um das härteste Radrennen Europas - 2.200 Kilometer und 30.000 Höhnemeter entlang der grenznahen Straßen rund um Österreich

 

Das

RACE AROUND AUSTRIA

Ein Bericht von Alexandra Meixner

Die Vorbereitungen

Mein erster Kontakt mit dem RAA war vor 2 Jahren. Damals hat ein bekannter Ultratriathlet und lieber Freund – Günter – erwähnt, er würde gerne einmal das Race around Austria fahren. Aber es sei so viel Aufwand und Organisation, somit nicht machbar. Was ist denn das leicht? Ach so, ein Radrennen rund um Österreich? Klingt recht interessant, hab ich mir nur gedacht.

Der zweite Kontakt war 2014 in der Fanzone in Gmünd um unserem Bekannten – Mario – zuzujubeln, der das RAA in einer 2er Staffel bei schüttendem Regen bewältigen wollte und das auch tat.

Der 3. Kontakt war dieses Jahr im März bei den Linzer Sportärztetagen im Rahmen eines Vortrages durch den begleitenden Rennarzt von Christoph Strasser und da dachte ich mir auch „das klingt ja voll interessant – aber nein, so viel Aufwand, wie sollte das nur gehen???“

Das Schlüsselerlebnis war dann der Vortrag von Stefan Schrenk, der mit Mario das RAA 2014 gefahren ist – da war ich dann komplett infiziert – und leider noch mehr davon überzeugt, dass der ganze Aufwand für mich nicht bewältigbar ist. Die ganze Logistik, Technik, das ganze Equipment und nicht zuletzt ein Team – Menschen die bereit wären, für mich eine Woche Urlaub zu opfern, die sich das antun würden, tagelang im Schritttempo hinter mir her zu rollen. Nie im Leben würde ich das zustande bringen können, diese ganze Organisation.

Gebrochenen Herzens lege ich das Projekt wieder zur Seite. Bis sich dann Stefan meiner erbarmt und Mitte Juni an mich herantritt. Denn ich erzähle ihm, dass ich infiziert wäre, dass da eine RAA-Gedankenmade in meinem Kopf sitzt gleich einem Borkenkäfer, der sich immer und immer tiefer bohrt und der nicht mehr vor hat, die neue Heimat meiner Gehirnwindungen zu verlassen. Stefan bietet mir sein Equipment (Pacecar, Technik, Kleidung und noch vieles mehr, was er mir sponsern wird) und sein Knowhow und vor allem auch seine Person als Teamleiter an und heuert einen Großteil seines Vorjahresteams an, mir als Crew zur Verfügung zu stehen. Auch das ist ja etwas, was ich gar nicht packe vor lauter Glück -  dass sich so liebe Menschen, die mich noch nicht einmal gesehen haben, mich gar nicht kennen, einfach für mich Urlaub nehmen bzw. als Selbständige den Verdienstentgang in Kauf nehmen, nur damit ich meinen Traum erfüllen kann. Meine Schwester Trixi überlegt keine Sekunde und ist auch mit von der Partie, um mich immer auf Vorderfrau zu bringen bzw. zu halten und Walter ist ja sowieso derjenige, der diesen Borkenkäfer in meinem Kopf seit Monaten genährt und gepflegt hat und keinen Moment überlegt, mir nicht zur Seite zu stehen. Aber ein paar Leute fehlen noch,  - also schnell eine Nachricht ins Facebook gestellt und schon melden sich Bettina und Christian – zwei „alte“ Bekannte - und ein uns noch nicht bekannter Thomas, der aufgrund seines Vorhabens, das RAA einmal als Solostarter zu fahren, uns auch begleiten wird. Und nicht zuletzt stellt sich auch Brigitte, meine Freundin und Mitarbeiterin zur Verfügung, meinen Spleen zu unterstützen und dabei zu sein.

Somit ist das perfekteste und bunt zusammen gewürfelte Team gestellt, noch dazu überragend umfangreich und groß:

Team 1 im Begleitauto

Stefan Schrenk:        Teamleiter, Mäzen, Organisator, Initiator, Sponsor, Motivator, Unterhalter, Positivdenker und und und... ein traumhafter Mensch

Trixi Meixner:           Unterstützerin für meinen Körper, Geist und Seele - und einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben – sie hat mich in meiner sportlichen Vergangenheit schon durch viele Bewerbe getragen durch Ihre magischen Hände und ihre Tuinapraktik

Team 1 im Pacecar

Walter:                       Navigator - mein Mann und Mentor, Unterstützer und Gönner und derjenige, der die meisten Launen abbekommt und geduldig erträgt  und seine Urlaube immer meinen sportlichen Spinnereien widmet (und somit auf Sex dann verzichten muss, wenn andere den meisten haben -was auch einmal anerkennend erwähnt werden sollte ;-))

Bettina Puhr:            Betreuerin für Leib und Seele und langjährige Freundin, von der ich in jedem Moment die nährende Nähe bekomme, die ich gerade brauche, und die sich als begnadete Sportlerin in jeder Sekunde in mich einfühlen kann.

Christian Puhr:         Fahrer und wunderbarer Mensch mit (nicht nur) Topmotivationsqualitäten. Die Worte, die mich in DER Tiefphase des Rennens aufgebaut und seitdem getragen haben, hat er geprägt: „Du bist eine Kämpferin“- diese Worte werde ich immer in mir tragen

Team 2 im Pacecar

Elvira Jank:                Betreuerin für Leib und Seele, Zweitorganisatorin und Motivatorin mit höchstem Gefühl, ob ich gerade einen Tritt in den Hintern oder Streicheleinheiten brauche und die mich zum Glück auch immer wieder erinnert, dass Zeit Mangelware ist bei dem Rennen.

Christiana Jank:        Navigatorin und beste Unterhalterin über Funk, deren Stimme und Ausdruck ich liebe und deren Shiatsu-Zauberhände ich so was von zu schätzen gelernt habe.

Werner Vogl:             „Lilifer“: Fahrer und Unterhalter ab dem 2. Tag, Zeit-Koordinator mit Anlehnschulter und dem besten Motivations-Schmäh ever und mit viel Gefühl. Ihn werdet Ihr noch einmal in der Wiener Stadthalle in einem seiner Kabaretts erleben (testified by Roland Düringer)

Franz Jank:                Fahrer am 1. Tag und Technikgenie. Er wäre zu früheren Zeiten als Einstein oder Daniel Düsentrieb durchgegangen und hat sich leider aus beruflichen Gründen nach dem ersten Tag verabschieden müssen. Die Zeit, die er jedoch schon vor dem Rennen in Navigation und Kommunikation investiert hat, geht sich wahrscheinlich mit meiner Nettoradlzeit nicht aus.

Team 2 im Begleitauto

Brigitte Fritz:              „Gitti-Schnitti“ Masseurin und „Mädchen für alles“ ist der geduldigste Mensch auf Gottes Erde und zum Glück nicht nur beim Rennen an meiner Seite

Thomas Neuwirth:   „Bussi-Tommi“ ist der wahnsinnigste, motivierteste Biker, den ich kenne, der nicht nur in seiner Funktion als Radl-Mechaniker besticht. Er zaubert Nahrung aus dem nichts und glättet die ärgsten Steigungen mit Sprüchen und laufend.

Meine weiteren Race Vorbereitungen beziehen sich (während Stefan sich um alles andere kümmert) aufs Auftreiben von Sponsoren:

Da möchte ich mich vor allem bei Herrn Peter Gooss vom SOLE-FELSEN-BAD bedanken, der mich seit 2014 unterstützt, mich nährt und an mich glaubt  und den ich als faszinierenden Menschen kennen lernen durfte – ohne ihn ginge es nicht.

Keine Sekunde hat Martin Weiss von FORD WEISS in Schrems gezögert, mir einen Transit zu sponsern für den Transfer des jeweiligen Teams, das in die Pause geht zum/vom Hotel zu meinem jeweiligen Stand- äh Radlort und der am liebsten persönlich als Betreuer beim Rennen dabei gewesen wäre, hätte es seine Zeit erlaubt.

Und auch besonderen Dank an Herrn Helmut Hörmann von der Firma APPEL, der mir aufgrund des Sieges beim Deca-Ultratriathlon, wo er mich finanziell unterstützt hat, auch für dieses Jahr Unterstützung zugesagt hat in Form eines Opel Vitaro, der uns gute Dienste als Begleitauto und „Massage- und Schlafraum“ geleistet hat.

Tja und für die körperlichen Vorbereitungen ist leider nicht viel mehr Zeit in den letzten beiden Monaten als sonst auch: in die Arbeit und retour radln, am Wochenende 3x den Mandelstein so quasi als Höhentraining in Ermangelung höherer Höhen;-) (für Pässe war leider keine Zeit mehr – da ich aber in meinem Leben schon einmal auf den Glockner, einmal den Arlberg und auf Mallorca den Calobra-Pass geradlt bin, habe ich ja ein bisschen eine Vorstellung, was auf mich zukommen könnte ... haha) und bei dem besten Sportphysiotherapeuten, Stephan Haumer, noch 2 Einheiten, um Übungen zu erlernen, die mir die Nacken- und Rückenmuskulatur stärken und den restlichen Körper entspannen helfen.

Bussi-Tommi kümmert sich noch aufopfernd um meine Hardware – wobei er von meinem 14 Jahre alten Rennrad mit dem liebevollen Namen Octopussi nicht ganz so begeistert ist wie ich selber und mit Stefan die Meinung teilt, dass die Übersetzung nicht so bergkompatibel ist, wie sie mir erscheint. Erst im Nachhinein erfahre ich auch, dass der Initiator des RAA beim Blick auf mein Rennrad am Großglockner zu der Überzeugung gelangt ist, dass er mich – hätte er die technische Überprüfung der Hardware gemacht – mit Octopussi nicht starten hätte lassen. Aber Bussi-Tommi und Chefe Stefan können mich nicht überzeugen, dass Rad, Helm und meine 2 Nummern zu große Mountainbikeschuhe (im Winter müssen ja viele Socken reinpassen) nicht nur nicht dem schickesten Trend entsprechen sondern auch in die Jahre gekommen und für dieses Rennen eventuell nicht so geeignet sind. Und ich wunder mich immer, dass ich bei Rennen in meinem Outfit nie wirklich ernst genommen werde von meinen MitathletInnen.

Und mit diesen Vorbereitungen und im Strudel des Alltags kommt der Tag X schneller näher als ich mir gedacht habe – und als mir lieb ist.

5.30 am Montag dem 10.8.

Walter ist außer Haus, um 12 Uhr werde ich abgeholt von meinem Team, um nach St. Georgen aufzubrechen. Die Zeit wird schnell vergehen, ich bin ja überhaupt nicht nervös. Ein paar Gedanken dort, ein paar da – ich muss mich beeilen, sonst wird mir die Zeit zu kurz. Wie spät ist es denn? Das gibt `s ja nicht, jetzt ist es erst 5.31. Vergeht die Zeit denn überhaupt nicht? Nach den morgendlichen Pflichtübungen wie Bettmachen, Körperpflege und der Regentin Katze zu Diensten sein wieder ein Blick auf die Uhr: 5.45. Die Uhr muss stehen geblieben sein, das gibt’s ja nicht... Zum Glück hab ich noch viel zu packen, da wird die Zeit schon vergehen – aber zuerst ins Auto und ab ins KH zur Arbeit. Wie verhext, gerade heute ist nicht viel Arbeit. Auf zum Spar, Frühstück gekauft und dann zu Mutti und Schwesterherz Gerlinde zum Frühstück. Hier bin ich wirklich abgelenkt und die gefühlten 5 Stunden beraumen doch wirklich 90 Minuten ein. Also vergeht die Zeit doch – komisch, dass sie sich so zieht, wo ich doch überhaupt nicht nervös bin.

Zuhause angekommen packe ich die letzten Sachen, mache alles dicht und sitze dann wartend und die Zeit bekämpfend mit Regentin Isi im Garten bis Stefan, Elvira, Thomas und Brigitte eintrudeln. Nach einer kurzweiligen Autofahrt  ein kurzer Stopp auf einer Autobahnraststätte, auf der Elvira einen Mann, den ich als internistisch-pulmologischen Notfall am Ende eines Glimmstängels in einem Glaskäfig bezeichnet hätte, als Wolfgang Ambros identifiziert. Ich fühl mich aber eher wie in einem Song von STS als in einem vom Wolferl: i wü wieda ham ... Was mach ich denn da überhaupt? Ich will wirklich nach St. Georgen? Ich will wirklich am Race around Austria teilnehmen? Ja warum denn? In welcher geistigen Umnachtung hab ich denn das beschlossen? Wären die anderen nicht dabei gewesen – ich hätte auf der Stelle kehrt gemacht.

In St. Georgen laufe ich nur ferngesteuert allen hinterdrein: zur technischen Abnahme der Helme und meiner stolzen Octopussi (für alle, die sie nicht kennen: sie ist mein treues 14 Jahre altes Rennrad – the one and only – mein ganzer Rennradlerinstolz und ich werde von ihr ein Foto ins Netz stellen, damit Ihr sie bewundern könnt). Und schließlich auch zur Fahrerbesprechung. Hier treffen wir auch auf Laura Messina, die italienische Teilnehmerin am diesjährigen RAA, mit ihrem Team. Sie wirkt unsagbar entspannt auf mich während ich mir schon den ganzen Nachmittag vorkomme, als hätte ich eine Frisur wie Einstein Junior, weil ich so unter Strom stehe  (hätte ich meine Haare nicht 3 Tage zuvor auf 8mm abscheren lassen wegen des Rennens). Bei der Vorbereitung der Fahrzeuge stehe ich im Weg und freue mich über Stefans dezentes Übergehen meiner Unzulänglichkeiten, während er fürsorglich auf meinem Lenker 2 Aufkleber anbringt, die mir in den kommenden Tagen von großer Hilfe sind. Auf einem steht „links“ und auf dem anderen steht „rechts“, was meine Unfähigkeit der Richtungserkennung kompensieren wird.

Als das alles erledigt und die Zimmer bezogen sind, fallen wir gleich über den nächsten Schanigarten her, wo wir unsere Bäuche vollschlagen beim letzten Briefing.

Die Bäuche sind so voll, dass wir den nächsten Supermarkt aufsuchen und Nachschlag besorgen, bevor wir den ersten Teil der Strecke abfahren und dann noch einen Abstecher zum See machen. Franz und ich bleiben die Zaungäste, während sich Brigitte, Elvira und Chrissi in die eisigen Fluten des wunderschönen Attersees wagen. Und das bei der Kälte – mich schepperts nur her! Was sicherlich nicht an einer aufkommenden Nervosität (ich bin doch nicht nervös!) sondern an den lächerlichen 27 ° liegt, die es jetzt kurz nach 20 Uhr noch hat.

Zurück beim Hotel verabschiede ich mich, während sich die anderen noch auf ein Bier zusammensetzen. Ich denke, ich wäre keine gute Gesellschaft an diesem Abend – bei den irren, wirren Gedanken in meinem Kopf, dem Grummeln im Bauch und dem sonderbaren Gefühl in meinem Herzen. Vielleicht bin ich doch ein bisschen nervös?

Der Start am Dienstag dem 11.8.2015

6.30 - Jetzt soll ich aufstehen? Wie das denn? Nach der Radtour, die ich in der Nacht hinter mich gebracht hab? Bin ja 10 Stunden lang einen einzigen Berg hinaufgefahren – mit Gegenwind, bei Glatteis und Minusgraden ohne Handschuhe. Und Absteigen zum Zähneputzen haben sie mich auch nicht lassen. Na guten Morgen...

Frühstück gibt’s um 7 – ich bekomme mein am Vorabend bestelltes Griespapperl, das ich lustlos löffle, während ich bewundernd Thomas zuschaue, der mir gegenüber sein Frühstück genießt und Pläne schmiedet, sich in der gegenüberliegenden Bäckerei Proviant für die Fahrt zu besorgen.

Beim Verabschieden von der Zimmerwirtin erwartet mich dann eine riesige Überraschung: sie gibt mir ein Kreuzzeichen auf die Stirn, einen Anhänger mit der wundertätigen Maria, eine Umarmung und Gottes Segen mit auf den Weg – und ab diesem Moment ist meine Nervosität wie verflogen. Sie weicht einem freudigen Gefühl, einer Neugierde und einer Zuversicht, die ich bis jetzt im Zusammenhang mit dem RAA noch nicht verspürt habe.

Am Start treffen wir wieder Laura und nach einem herzlichen gegenseitigem Be-Glückwünschen gibt es noch ein kurzes Radio- und Fernsehinterview. Die Minuten verfliegen und schon startet Laura und nach ein paar Worten mit dem Moderator heißt es auch für mich „und tschüß...“ es ist jetzt 8 Uhr 02.

Tja und ab da ist alles nur noch verschwommen – an was ich mich noch hautnah erinnern kann, ist die Zielankunft. Und dazwischen? Dazwischen kommt es mir vor wie die ersten Lebensjahre: man erinnert sich nur noch bruchstückhaft und weiß nicht, ob diese Erinnerungsfetzen dem eigenen Gedächtnis entstammen oder den Erzählungen der anderen.  Auf jeden Fall möchte ich versuchen, hier jetzt so gut als möglich zu reproduzieren, was ich in den darauffolgenden Tagen erlebt habe.

Was ich noch sehr gut in Erinnerung habe, ist die erste Strecke durchs Mühlviertel – die ist, naja sagen wir einmal: knackig...  Und noch dazu hatte ich mir ein bisschen Zeitdruck auferlegt, weil ich – hätte ich mein normales Tempo durchgezogen, wäre es nämlich so gewesen – nicht erst um Mitternacht in der Fanzone in Gmünd sein möchte. Schließlich bin ich das ja meinen FreundInnen und Bekannten schuldig, dass sie nicht unausgeschlafen nächsten Tag in die Arbeit kommen. Und außerdem – und das ist ein auch nicht unwesentlicher Grund – fürchte ich, dass allen spätestens nach dem 2. Getränk langweilig ist und alle nachhause fahren und ich dann in eine leere Fanzone eintrudel...

Ich bekomme mit, dass Laura irgendwann kurz nach der Donau hinter mir ist – ihre Crew hatte anscheinend Schwierigkeiten bei einer Umleitung, die schon für mein Team, welche der deutschen Sprache an und für sich mächtig, nicht ohne ist. Den Stress, den Chrissi, Franz und Elvira haben und mit Handy, Navi und Routebook bravourös meistern, um nicht zu viel Umweg zu machen, bekomme ich – wie so vieles – nicht mit. An viel kann ich mich auch bei diesem Abschnitt am ersten Tag nicht erinnern: die schöne Erinnerung ist die Begleitung für ein paar Kilometern durch einen Ultratriathleten, der auch einmal am RAA teilgenommen hat und durch eine liebe und anspornende E-Bikerin, deren Mann am nächsten Tag als Betreuer für ein Team mitfährt beim RAA. Die eher unliebsame Erinnerung gilt den vielen Umwegen – hinauf zum Guglwald und dem geschotterten Teilstück bergab, dem bergauf führenden Umweg über Rainbach, wo doch Freistadt geradeaus nur noch bergab und 12km gewesen wäre statt dann 21km und bergauf. Und dann erinnere ich mich noch an die kurze Pause am Ende von Freistadt, in der wir Licht montieren, Chrissi mir eine kurze Behandlung zuteil werden lässt und ich dann das Schrenk Trikot überziehe, weil ein Filmteam vom ORF mich in einigen Kilometern begleiten wird. In der Gewissheit, in ein bisschen über 2 Stunden und somit gegen 21 Uhr in Gmünd zu sein, schnupf ich den „Rauheneda“ (Oberrauchenödter Berg) und fühl mich nach dem weiß-nicht-wievielten Ensure, das mir schön langsam zu schmecken beginnt, wie wenn ich gerade erst losgestartet wäre. Das Begleiten und Gefilmtwerden durch die beiden netten Herren des ORF macht die Fahrt kurzweilig und eine riesige Überraschung wird mir zuteil durch ein Zujubeln von lieben Bekannten in Bad Großpertholz (wie sich später rausstellt, hat die JVP extra ihre Sitzung unterbrochen, um mir die Welle zu machen – danke dafür J), eine Fanzone mit riesigem Plakat in St. Martin und 2x Jubelpartie in Weitra. Ich glaub, unsere St. Martiner Laufgruppe wollte mich auch einmal leiden sehen ...

Die Ankunft in der Fanzone in Gmünd ist einfach überwältigend. Soooooo viele liebe Leute, mein Schwesterherz Gerlinde und die Creme de´la creme der Sportszene vom Wald4tel ist zugegen, um mir Rookie die Ehre zu erweisen und sogar der Chef des Solefelsenbads – mein Hauptsponsor und großzügiger Mäzen Peter Gooss. Ich bin einfach  nur sprachlos und überwältigt vor lauter Freude. Und ich muss zugeben, am meisten hab ich mich natürlich auf Walter und Trixi gefreut, die für meine Abenteuer immer meine mental wichtigsten Stützen sind! Ich freue mich, mein restliches Team zu sehen – die anderen, die mich so toll getragen haben an diesem Tag, schicken wir jetzt ins Körbchen. Trixi und Gerlinde begleiten mich zur Dusche und nach einer kurzen Behandlung versuche ich zu schlafen – da ich mich nach 5 min aber noch immer nicht müde genug für einen Power-nap fühle, ziehe ich mich wieder an und ab geht’s ins Freie. Die Abfahrt ist dann so zackig, dass ich Angelika gar nicht mehr erwarte, die mir eine Nudelsuppe gebracht hätte.

In Neunagelberg erwartet mich eine freudige Überraschung – Schindl Marco radelt plötzlich neben mir und begleitet mich ein paar Kilometer. Er ist extra langsam hinter dem Pacecar seit der Fanzone nachgezuckelt um jetzt ein paar Kilometer neben mir zu fahren. Da aber langes Begleiten nicht erlaubt ist, lässt er sich bei Brand wieder hinters Pacecar fallen. Irgendwo nach Finsternau radl ich auf Laura auf – da ich mir denke, dass sie mich auf Dauer sowieso wieder überholen würde, mache ich eine Pinkelpause um ihren Vorsprung wieder größer werden zu lassen und lustig geht’s dann weiter – Laura werde ich ab jetzt nicht mehr sehen. Marco wartet geduldig hinter dem Pacecar auf mich, obwohl er am nächsten Tag arbeiten muss und begleitet mich dann noch einmal für einige Kilometer, bevor er Richtung Heimat abbiegt. Dann habe ich noch in Erinnerung, dass ich kurz vor Raabs noch länger mit einem Offiziellen tratsche, der im Auto neben mir fährt – und dann kommt Alex: die lustige und motivierte Organisatorin der Fanzone in Drosendorf, die extra wegen Laura und mir Wache hält, um mich um 2 Uhr in der Früh hier zu begrüßen und mich laufend ein Stück zu begleiten. Und dann? Dann weiß ich lange nichts, außer dass ich sehr müde war.  Und dass ich neben dem mir deliciös geredeten Ensure eine Haubensuppe von Norbert genieße. Das wird jetzt jede Nacht so sein: immer wieder eine gute warme Gemüsesuppe von Norbert – ich könnt ihn heut noch umarmen dafür!

Schlafen war erst in Marchegg vorgesehen. Also quäle ich mich weiter. Irgendwann geht’s nicht mehr. Ich bleibe stehen und mache eine kurze Pause im Pacecar. Ich denke, es waren keine 20min, die ich geschlafen habe, während sich Betti, Christian und Walter vor dem Auto abfrieren – aber danach wurde es hell und ich fühlte mich gleich viel besser und die 3 sich auch wieder frischer. In Laa stehen Trixi und Stefan neben Omis Friedhof und jubeln mir zu, neben ihnen ein graugelockter Radfahrer. Kurz überlege ich, ob ich absteigen und zu Omis Grab gehen soll. Aber ich lasse das dann doch lieber bleiben, weil ja die Zeit alles in allem doch sehr knapp bemessen ist. Weiter geht’s – wie? Wo? Wie lange? Keine Ahnung. Irgendwann an einer großen Bundesstraße bleiben wir dann stehen zum Pinkeln und Zähneputzen. Und jetzt kann ich Euch nicht verschonen – Ihr müsst die ganze Wahrheit wissen. Das Sitzfleisch tut soooooo weh ... und runterschauen macht auch schon keinen Spaß mehr. Eigentlich kann frau den Schmerz und das Aussehen nur mit einem passenden Wort beschreiben: erschreckend...

Aber wen interessiert das schon? Mit Verlusten muss ich rechnen, also geht’s weiter bis Marchegg – hier erwartet mich Trixis Behandlung und eine Dusche. Die kühlt mich wieder runter – die Luftkühlung alleine ist bei 30° um 10 Uhr vormittags doch nicht sehr effizient. Ein kurzer Schlaf für 30min ist geplant, nach 20 min wache ich schon auf und beginne mich anzuziehen. Bei einem kurzen Blick aus dem Fenster sehe ich einen schlanken blonden Mann, der mich an Paul Wagesreither erinnert. Lustig. Als ich dann vors Hotel komme, steht da auf einmal Paul – oder halluziniere ich schon? Nein, tu ich nicht – mah ist das eine große Freude! Paul und sein Arbeitskollege sind extra vorbeigekommen, um mir viel Kraft mit auf den Weg zu geben. Motiviert schwinge ich mich wieder auf meine Octopussi und schon geht’s weiter. Außer Chrissi, Elvira und Werner lässt mich auch die Sonne nicht aus den Augen. Zum Glück fühle ich mich aber so fit, dass ich nicht mitbekomme, wie sie mich ins Visier nimmt. Ich wundere mich nur irgendwann tagsüber über die großzügige Pausengestaltung, Bussi Tommi und Gitti Schnitti organisieren immer wieder Gaststätten, in denen ich mich auf der Toilette im Waschbecken halb duschen kann bzw. wo mir Schaffeln mit Eiswasser aufgestellt werden, um mich zu kühlen. Ensure geht mittlerweilen kaum mehr, stattdessen werde ich mit Carbo-Cola mit viel Zitrone aufgefüllt, was besser ist bei der Hitze. Irgendwann geht’s dann bergauf – aber nicht im physischen sondern im landschaftlichen Sinne. Hat nicht einmal irgendwer gemeint, dass das Burgenland flach ist? Ich bin ja so froh, dass ich mich vorher mit der Strecke nicht auseinandergesetzt habe, dass ich nicht weiß, wann es wie hügelig oder bergig ist. Ich dachte mir, nur in den Bergen sei es bergig – dass sowohl das Mühlviertel als auch das Weinviertel und das Burgenland so viele Höhenmeter zu bieten haben, erstaunt mich – und ich weiß, dass ich nie mehr wieder ins – haha – ach so flache Weinviertel radeln werde. Wo kommt denn da bitte jetzt auch mitten im Burgenland die Steigung her? Vielleicht halluziniere ich ja – aber ich hätte in Erinnerung, dass dieser Berg Siegesgraben geheißen hat. Ich bin verwirrt, Graben ist bei mir eigentlich irgendetwas unten – was machen wir da oben? Egal, ich frag nicht lang – nachdem ich aus einem Springbrunnen auf einem Marktplatz verjagt werde, organisiert Werner bei einem Arbeitskollegen eine Gartendusche samt Pool. Nach dieser Abkühlung und ein paar Stück Melone, die mir Bussi-Tommi reicht, schlafe ich nach einer Behandlung von Brigitte und Chrissi wieder einmal 20 min und dann geht’s schon wieder auf. Noch ein kurzes Foto mit den GastgeberInnen – und auf einmal steht da mein Schwagerherz Hannes. Er wollte mich auf der Strecke bejubeln, ich kam nicht daher – und schon hat er sich dank Live-Tracker und Googlemaps auf Spurensuche begeben. Das spornt an – und voll motiviert geht’s weiter. Irgendwann gegen Abend am Weg nach Güssing und somit zur nächsten Dusche und Behandlung durch Trixi trau ich mich dann fragen, wie warm es denn gewesen sei. Als ich dann höre, dass es im Auto 41° angezeigt hat, schau ich auf meine Schenkel, wunder mich, dass sie noch nicht zu Grammeln geworden sind und bin richtig stolz auf mich. Bei der nächsten Pinkelpause wage ich wieder einmal einen Blick auf schmerzendes Terrain und sehe, dass die Hitze und Schwitzerei so ihre Spuren hinterlassen hat und eine Zucht von Mitbewohnern begonnen hat. Aber keiner hat gesagt, dass es leicht wird. Das klingt jetzt so, als würden sich meine Beschwerden auf den Intimbereich konzentrieren – dem ist natürlich nicht so. Seit dem ersten Tag sind meine Zehenballen streckenweise taub – und sind sie nicht taub, juchizen und schmerzen sie. Aber neben der Selbsthilfe mit Blackroll bringen vor allem Gitti-Schnitti, Chrissi und Trixi in selbstaufopfernder Überwindung und Toleranz ob der Geruchsbelästigung immer wieder Ruhe in das Geschehen. Bussi-Tommi hätte mich davor warnen können und wüsste Abhilfe, hätte ich ihn davor gefragt. Aber ich in meiner „ich-werd-schon-sehen-was-auf-mich-zukommt-Ideologie“ hab mich natürlich um gar nix gekümmert.

Wie geht’s sonst so weiter? Ich weiß nicht viel, frag mich immer, wie ich das alles im Nachhinein so verdrängen kann. Den ersten Schrecken jagt mir auf jeden Fall ein Berg ein, der eigentlich keiner ist: er heißt nicht Sattel, nicht Joch, schon gar nicht Pass oder auch nur Berg. Er ist einfach „der Soboth“.  Ein Steirer auf der Weinstrasse hat mich im Nachhinein beruhigt, da ich schon dachte, die Antipathie mit´m Soboth ist etwas rein Subjektives und ich müsste in einer Therapiestunden an dieser Diskriminierung, die ich dem armen Soboth angedeihen lasse, arbeiten. Er meinte „jau jau (Anm.: ist ein gebelltes steirisches ja ja), da Soboth is a Schwein, oba kana kennt eam, des wiss ma olle!“.

Jetzt beginnen meine Befürchtungen und Ängste real zu werden – die Berge, die ich raufradl, muss ich irgendwie auch runterkommen. Das ist unlustig für mich – vor allem in der Nacht. Das geborgte Licht, das meine Octopussi ziert, ist mir zu wenig und ich habe das Gefühl ich tappe im Dunkeln, wenn ich auf Kuppen oder in Kurven nicht sofort im Kegel der Beleuchtung des Pacecar bin. In meiner hysterischen Zickenhaftigkeit geht es fast so weit, dass ich pitzle, als ich höre, dass mein tolles Scheinwerferlicht im Wald4tel geblieben ist. Dann kommt mir die Idee, dass wir doch zur Weinstrasse kommen und der coolste und genialste Radlhändler der Welt da irgendwo in der Nähe sein muss. Walter, wie weit haben wirs denn nach Kalsdorf? Um 3.45 schreibt Walter unserem lieben Hannes (Rad Fuchs) eine Nachricht als Vorwarnung sollte er an präseniler Bettflucht oder einem Prostataleiden laborieren würde er es ja vielleicht noch zu Nachtzeiten lesen. Zu Hannes Glück ist dem nicht so, er leidet weder an Bettflucht noch an einer vergrößerten Drüse – somit wird er von Walter um kurz vor 6 Uhr aus dem Bett geläutet mit der Bitte, das stärkste Radlicht zu suchen, das er auftreiben kann und schon sind Trixi und Stefan am Weg nach Kalsdorf. Beim Hinfahren wundert sich Stefan noch, dass wir unseren Radhändler bei Graz haben – beim Zurückfahren nicht mehr. Mit leuchtenden Augen meint er, dass er normalerweise einen halben Tag in dem Geschäft verbringen würde, hätten wir ein bisschen länger Zeit und keine Mission zu erfüllen. Das ist überhaupt ein Tag voller netter Begegnungen und Überraschungen. Während Betti, Christian, Walter und ich einen kleinen Ensure-Frühstücksgenuss-Stopp auf der Weinstraße einlegen zum Fotoshooting, vergesse ich fast vor lauter Schönheit der Natur die Anstrengung, die diese Gegend mit sich bringt. Die Steigungen sind immens – manchmal fühlen sie sich an wie wenn ich in ein Looping einfahren würde. Dadurch dass die Steigungen aber nie sehr lange andauern und immer wieder von lustigen Abfahrten gefolgt werden, machen sie aber mit der Zeit sogar fast Spaß. Und am Ende der Weinstraße warten Stefan und Trixi mit Geschenken und einem voll netten Motivationsschreiben von Hannes und einem motorradscheinwerfer-ähnlichem Licht, dem vorbereiteten Massagetisch und ich darf wieder eine kleine Pause machen. Währenddessen beliefert ein gewisser Martin die Sportplatzkantine, neben der wir den Massagetisch aufgestellt haben, mit Getränken und beschenkt uns reichlich mit einer Kiste Cola.

Soweit ich mich entsinne, kommt dann bald die 3. Nacht und das Lesachtal – obwohl ich mich auch da vom Namen in die Irre führen hätte lassen, hätte mich Chrissi nicht vorgewarnt, dass es zu einer 56km langen Steigung kommen würde. Ich glaube da ist es auch, wo ich Irene und ihren Mann treffe, die beiden Officials, die keinen Zweifel daran lassen, dass sie an mich glauben und mir zutrauen, dass ich das Ziel erreichen würde. Bis dahin habe ich auch noch keinen Zweifel – noch kaum Berge in den Beinen und 10 Stunden vor der Karenzzeit. Aber ich habe keine Zweifel, dass sich das noch ändern könnte. Ich erfahre, dass Laura ebenso große Schwierigkeiten mit ihrer Privatissima hat, was mich mit meinem Sitzfleisch ein bisschen aussöhnt, obwohl jetzt auch Blasen- und Unterbauchschmerzen dazukommen und mich zwingen, mir ein Singleshot-Antibiotikum einzuwerfen mit einer Dosis, von der ein Pharmakonzern ein Monat lang das Personal zahlen kann. Dieser bösen Schulmedizin gebe ich ja auch innerlich die Schuld an meiner Glocknermisere, die nun folgen soll. In der Nacht ... in der Dunkelheit – ich nähere mich dem Iselsberg. Und schon überholt mich die Prominenz des Rennens mit den Worten „alles klar“? Wir sind gerade in einer Stadt, die ich nicht benennen könnte, auf jeden Fall gibt’s da Ampeln und wir erleben live mit, wie ein Strasserscher Boxenstopp funktioniert. Ampel rot, Christoph steht, Türen fliegen auf, ein Betreuer werkt irgendwas beim Helm, der nächste hupft raus und schmiert die Wadeln, Ampel grün – das beim Helm passt noch nicht und während dem Anfahren wird weiter gewerkt. Und ich werd ganz schön blockiert – muss meine Kräfte zügeln, während das Teufelchen in mir sagt „auch wenn sie Dich dann wieder überholen müssen – fahr vor, fahr vor! Wer kann sonst schon sagen, sie hat Christoph Strasser überholt?“ und plötzlich auch über Funk dieselben Worte aus dem Pacecar. Ach das juckt ... aber die Vernunft siegt. Und ein paar Sekunden später ist das Service vor uns erledigt, die Türen des Autos verschließen sich und wir sehen nur noch die kleiner werdenden Lichter des Strasser´schen Pacecars. Und so gerne hätte ich Christoph am Berg getroffen und nicht auf der Geraden – ich hätte nämlich gerne rausgefunden, ob eine radelnde Ausnahmeerscheinung wie Christoph Strasser wenigstens auch ein bisschen keucht bergauf... ein kleines bisschen zumindest bitte ... halt zumindest schneller atmet...

Alles was ich dann weiß, ist, dass die Nacht gut gelaufen ist. Ich habe mich wirklich fit gefühlt und bin ohne einen negativen Gedanken dem Glockner entgegen gefahren. Jedoch mitten am Berg hats begonnen. Ich – fit, munter, gut im Futter – und auf einmal bekomm ich keine Kraft auf die Pedale. Gibt’s net. No amal. 1-2-3-4-5-6-7-aus. Keine Kraft. Und noch einmal derselbe Versuch. Und mit jedem Anfall der Kraftlosigkeit werde ich mehr verzweifelt. Wir bleiben stehen, ich tu Zähne putzen, Trixi behandelt ein bisschen die Beine. Nächster Versuch. Wieder nix. Nach 50 Metern ist der Saft draußen aus den Beinen. Das kenn ich nicht, diese Leere – was ist das bitte? Mit Schmerzen kann ich umgehen – aber da ist nicht einmal eine Spur von einem Schmerz -, doch mit diesem Gefühl komm ich nicht klar. Stefan hat sich auf mein Reserverad geschwungen und würde mich begleiten. Es geht nicht – ich versinke in Selbstmitleid, brauche meine Suhlerei im „ach-wie-bin-ich-arm“ Sein für mich und bitte ihn, obwohl es sonst so schön gewesen wäre, mit ihm den Glockner hinauf zu radln, mich nicht zu begleiten. Ein Gemisch aus Selbstvorwürfen und Selbstmitleid ist wirklich eine gefährliche Kombination und kostet wohl das letzte bisschen Kraft, das sonst noch da gewesen wäre. Irgendwann geht es nicht mehr, ich bleibe stehen beim nächsten Halt meiner Crew und fange bitterlich zu weinen an. Irgendwie tut das total gut und die aufbauenden und überhaupt nicht enttäuscht wirkenden Trostworte von Trixi, Betti und Christian wirken beruhigend. Ich bitte Betti, Walter – der von meinem Schwiegertiger abgeholt und in den Dienst geführt wurde – als Telefonjoker zu aktivieren. Egal wie, ich brauch Energie von ihm....

Irgendwann geht’s dann schrittweise. Ich glaub, ich brauche für den Glockner 4 oder 5 Stunden. Oder noch länger. Ich weiß es nicht. Dafür ist der Empfang oben aber für alles entschädigend – sooooooooo viele liebe Leute, die da stehen und jubeln und auf uns AthletInnen warten. Haben sich doch Fans von Oberösterreich extra die lange Fahrt angetan, um am Glockner uns allen einen Empfang zu gestalten, der Freudentränen in die Augen und Gänsehaut auf den Skalp zaubert. Das beflügelt mich so sehr und gibt mir wieder Kraft – zumindest auf der Geraden, sobald ich aber Kraft auf die Pedale bringen soll, ist´s wieder vorbei und ich habe zum ersten Mal das Gefühl, dass es sich nicht ausgehen könnte, zeitgerecht ins Ziel zu kommen und frage Betti unter Tränen, ob sie mit mir die Tour zu Ende fahren, auch wenn ich es nicht bis Montag um 4 Uhr schaffen sollte.

Und was in diesem Moment so gut tut: es kommt kein leeres Trösten wie „wirst sehen, Du schaffst das schon...“ oder so etwas, sondern ein klares „natürlich machen wir das mit Dir zu Ende“. Und das beruhigt mich wieder, holt mich aus meiner Verzweiflung. Egal wie lange ich brauchen werde, ich will nicht aufgeben. Ich denke an die Worte, die Walter zu Stefan gesagt hat, als dieser gemeint hat, Walter müsse beurteilen, wann ich vom Rad zu holen sei oder wann einem eventuellen Aufgeben von mir stattgegeben werden sollte. „bei abgetrennten Gliedmaßen, spritzenden Wunden oder Bewusstlosigkeit – vorher wird sich Xandi nicht geschlagen geben!“.

Das fiese am Glockner ist, dass man glaubt, man ist oben, fährt durch einen Tunnel und ein bisschen bergab  - und dann geht’s noch einmal bergauf. Da spüre ich dann gleich wieder, dass die Kraft noch immer nicht da ist. Und es kommt die Erlaubnis von Manfred, dem Initiator des RAA, das Rad zu schieben. Er begleitet mich dann gehend ein Stück, berichtet mir von seinen Erfahrungen mit so einer Situation und auch das beruhigt mich. Seine Tipps, wie ich mit dieser Leere umgehen kann, begleiten mich ab jetzt, geben nicht nur Zuversicht und Beruhigung, sondern helfen mir auch weiter.

Das nächste, was mir in Erinnerung ist, ist der Genuss der Dusche im Zimmer eines lieben Bekannten von Stefans Sport Team (danke noch einmal dafür und für das liebe Zetterl!) und dann der/die/das Kühtai. Nicht nur, dass es mir schon immer als furchterregend von den Erzählungen her vorgekommen ist – es ist auch wieder so ein Berg, bei dessen Namen man eigentlich keine Ahnung hat, was auf eine zukommt. So wärs ja wahrscheinlich nicht so schlimm gewesen, soweit ich mich erinnern kann, waren die extremen Steigungen relativ kurz – aber der Regen hat mir den nächsten Schlag versetzt. Noch beim letzten Interview vor dem Start, als ich auf die kommende Hitze angeredet wurde, hab ich gesagt „mir sind 40° lieber als nur 2 Stunden Regen“. Und kann mir dann bitte jemand erklären, warum ich beides haben muss, wenn ich doch meine Prioritäten so klar deklariert habe?

Der Regen macht mich fertig im Kopf. Und vor allem wieder beim Bergabfahren. Meine Stürze früher mit dem Motorrad – allesamt beim Bremsen im Regen. Und meistens bergab. Bitte nicht wieder. Vom Kühtai runter hab ich mich dann einzwicken lassen zwischen dem Begleitauto und dem Pacecar. Nur nicht ausreiten in den Kurven, bitte nicht. Bussi-Tommi gibt mir gut die Strecke vor, „wuliwuliwuli ja wo ist sie denn die Xandi?“. Chrissi & Co unterhalten mich übern Funk und lenken mich ab. Irgendwie schaff ichs dann, bin unten und erleichtert. Und nach einigen wenigen Stunden wird auch der Regen weniger und die Hoffnung wächst wieder, dass das der einzige Schütter gewesen sein wird. Diese Hoffnung zerschmettert jedoch, als auf der Tankstelle ein junger Tiroler auf die Frage nach dem Wetter antwortet, dass fürs ganze Wochenende Regen prophezeit wurde. Zack wusch trara, so schnell war noch nie meine Motivation im Keller, obwohl ich einstweilen ja noch Hoffnung habe, dass dem nicht so sein wird. Denn wie oft stimmen schon so Wettervorhersagen? Im Waldviertel so gut wie nie. Denn da heißts ja immer, es kann bei klarem Himmel oft die Sonne scheinen bis dann die Wolken durchziehen und bei mäßigem Wind ein Sturm auftritt, der Regen bringt. „Xandi, gib die Hoffnung nicht auf – radl einfach weiter in Dein geliebtes Ländle.“ Die Silvretta rauf. In Ischgl wunder ich mich, was da beim Urlauben so teuer sein soll. Und ich bekomme nette Begleitung durch einen heimischen Radler, der mir seine Bewunderung so derartig ausdrückt, dass ich zum ersten Mal das Gefühl habe, dass ich vielleicht doch etwas leiste...? Außerdem spüre ich, dass der phänomenalste Homöopath auf Erden – Bernhard Schmid – wieder einmal ein Wunder an mir gewirkt hat. Elvira hat ihn nämlich aktiviert, um meine körperliche Leere und negativ-ängstliche geistige Kopf-Fülle zu bekämpfen. Dieses Hochgefühl wird jedoch boykottiert und hält nur solange an, bis es bergab geht und zu schütten anfängt – wie immer wenn ich im Xiberger Oberland bin. Anders kenne ich es hier nicht.

In Bludenz bin ich so waschelnass und demotiviert, dass ich wieder einmal eine Schlafpause einlege, nachdem mich Chrissi ein bisschen behandelt hat. Im ärgsten Tief sind es neben Bernhards Wundermittel wieder liebe Menschen, die mir weiterhelfen: erstens sind Walter und mein lieber Schwiegertiger wieder zurück aus dem Wald4tel und bereit mich zu begleiten. Und zweitens besucht mich Carsten (ein lieber Freund, der mit uns das Deca-Ultratriathlon Abenteuer im Vorjahr durchlebt hat) mit seiner Familie und bejubelt mich immer wieder unterwegs am Faschinajoch und läuft mit mir ein paar Kilometer bergauf, was mir das Empfinden dem starken Regen gegenüber abschwächt, vor lauter Sorge, weil er doch nass wird. Kaum von ihm verabschiedet, empfangen mich oben angekommen 2 liebe KollegInnen mit ihren Kids, welche ich das letzte Mal im Ultraschall im Mamabauch gesehen habe. Wenn das nicht alles motiviert, aufbaut und glücklich macht!

Dann folgt wieder eine Strecke, an die ich mich kaum erinnern kann. Den Fernpass nehmen wir zum Glück zu einer eher nächtlichen Zeit (in der Nacht oder am Tagesbeginn? Ich kannst nicht sagen) und somit bei wenig Verkehr. Ich höre im Nachhinein, dass es für mehrere Athleten und BetreuerInnen nicht leicht war, bei dem immensen Verkehr und den oft rücksichtslosen AutofahrerInnen, tagsüber diese Strecke zu fahren. Ab dann geht’s  bergab, oder zumindest nicht mehr viel bergauf. Hab ich gehört. Nur noch der Dientener Sattel. 2 Steigungen. Auf die habe ich mich mental vorbereitet – auf die vielen Kilometer vorher, die ich eigentlich krachen lassen wollte ,weil doch eh so gerade, mit dem starken Gegenwind, war ich aber nicht vorbereitet. „Xandi, sei nicht undankbar, hader nicht – schließlich bist Du doch bald im Ziel.“ Aber ich bin so glücklich, als endlich die Steigungen anfangen und der Wind aufhört. Am letzten Gipfel dann eine Überraschung, mit der ich nie im Leben gerechnet habe: Martin, unser treuester Trainingspartner und Freund steht da mit seinen Freunden Klaus und Gabi. Eigentlich bin ich mir jetzt oft noch nicht sicher, ob ich da nicht schon zu halluzinieren angefangen habe – so eine große Strapaze können sie doch nicht auf sich nehmen und extra kommen! Und als Martin sagt, er wird im Ziel auf mich warten, weiß ich, ich muss reintreten. Volle. Oder zumindest fahren. Nicht einfach nur ein bisschen dahin strampeln. Einer der erfolgreichsten Ultratriathleten unserer Zeit hat während des Decas zu mir gesagt „Alexandra, push the bike, don´t ride it!“ Und deshalb pushe ich ab jetzt wieder. So gut es noch geht. Kann doch nicht alle bis 4 in der Früh oder länger warten lassen auf mich in St. Georgen... Aber dann ist alles nur noch verschwommen in meiner Erinnerung. Ich denke schon, dass ich dann noch am Rad war – vielleicht bin ich auch gefahren, aber mit Sicherheit muss ich geschlafen haben. Nur kurz im Pacecar, aber 2 Stunden am Rad – zumindest fehlt mir diese Zeit, ist aus meinem Gedächtnis gestrichen. Angeblich haben wir über Funk die ganze Zeit getratscht – bis ich dann fast ausreite und plötzlich eine laute Stimme hektisch „Xandi“ schreien höre. Und dann finde ich mich am Weg zum linken Fahrbahnrand wieder. Aber ab dann bin ich wach. Wach vor lauter Schreck, weil mir bewusst wird, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben so einen Sekundenschlaf gehabt haben muss – und das obwohl wir miteinander geredet haben. Ein paar Minuten Pause – nur ein paar. Ich muss meine Augen wach bekommen. Yoga für die Augen, Chrissi druckt auch Augenpunkte und dann ein von Werner mit diabolischem Blick gereichtes Red Bull. Juchu und dann geht’s weiter (angeblich kurze Bergabstücke mit 60km/h). Jetzt hält mich nichts mehr. Wir blödideln und lachen über Funk und es gelingt mir doch wirklich, Werner einmal für einen Bruchteil von Sekunden sprachlos zu machen. Woraufhin wir beschließen unser erstes gemeinsames Kabarettstück in einer Buschenschank zu schreiben. Das andere Team hat beschlossen, keine Schlafpause mehr zu machen. Alle paar Kilometer stehen sie jubelnd am Rand, rocken und tanzen, johlen und singen für mich. Und dazwischen stehen Christbäume, ein aufblasbarer Dinosaurier und sonst noch so einiges, was ich sehen kann, Chrissi & Werner & Elvira hinter mir aber nicht... Nur die Minions da vorne, die sehen sie auch – Bananaaaa! Huch, das ist ja wieder unsere Pausencrew – aber die bild ich mir zumindest nicht ein, sie sind real und so kraftspendend. Für sie muss ich mich beeilen. Sie dürfen nicht so lange auf mich warten müssen.

Und dann. Dann irgendwann. Ein Schild „St. Georgen“ 3km. Ist das wirklich unser St. Georgen? Eh kein anderes? Da gibt’s ja noch eines in der Gegend soweit ich weiß. Ist es wirklich wahr, dass es „unseres“ ist? Ich bin den Tränen nahe, kanns nicht glauben – und da ist es wirklich, das Ortsschild. Und neben meiner Crew, der beste Schwiegertiger der Welt und ein Empfangskomitee des RAA. Ich darf wirklich absteigen, bin angekommen. Ich falle allen um den Hals, kanns gar nicht packen, bin einfach überwältigt. Als ich Walter umarme spüre ich die ganze Kraft, die er mir gegeben und die mich getragen hat. Und beim Drücken und Halsen von Trixi, als ich ihr Zittern und Ihr Beben spüre, wird’s mir plötzlich klar und bewußt – ich habs geschafft. WIR HABENS GESCHAFFT! Zu elft haben wir als erste Österreicherin das RAA innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit geschafft. Die Konfettis fliegen, es ist der schönste Konfetti-Regen, den ich je erlebt habe. „Leitln, ehs mochts mi so glücklich!!!“ Und dann heißts – auf noch einmal aufs Rad, es geht zum Zielgelände. „Müss ma die Konfettis eh net aufkehren?“ Gelächter – hau Di endli wieder aufs Radl, es woatn jo olle auf Di.

Hinter dem Auto her, ins Zentrum von St. Georgen – und trotz der späten Stunde sind noch so viele liebe Leute da, die auf mich warten. Viele Unbekannte, die sich mit mir freuen und durch die Freude so vertraut wirken. Mir so ein schönes Gefühl geben und mit mir stolz sind, dass eine Österreicherin das Ziel erreicht hat. Da geht’s nicht nur um meinen, um unseren Erfolg, es geht um den Erfolg der österreichischen Frauen!

Und dann sind da wirklich Martin, Gabi und Klaus – und ein großer Teil meiner Family, mit der ich nicht gerechnet habe. Meine Schwestern Gerlinde und Silvia, mein Neffe Johannes, der mir mit seinen Meldungen und Nachrichten so eine große Stütze war in den letzten Tagen und mein Schwager Dieter. Und auch Franz ist mit seiner Frau Brigitte wieder da – die Crew ist wieder vereint, ist wieder perfekt – so wie wir alle miteinander sind – hätte nur ein Teil von unserem Team gefehlt, wäre das Rennen nicht so perfekt gewesen, wie es war. Es ist UNSER Erfolg. Ich musste „nur“ radln, die anderen hatten den Knochenjob. Ich habe einmal gehört, dass ein erfahrener Langstreckenradler gemeint hat: ein Drittel ist Muskelarbeit, ein Drittel der Kopf und ein Drittel das Team – somit ist mein Team für 2/3 verantwortlich. Denn sie haben auch meinen Kopf und mein Herz gestärkt

 

 Die Vorbereitung:

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Das Rennen:

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Videos:

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